· 

Foresight Report: Status quo der Gefährdungslagen am Beispiel ENERGIE

Die Gefährdung des Infrastruktursystems Energie durch systemische Risiken betrifft verschiedene Teile des Systems und ist unterschiedlich akut. Die Funktionsfähigkeit und Stabilität des Infrastruktursystems werden derzeit vor allem durch Cyberkriminalität, geopolitische Konflikte und Wetterextreme bedroht. Um diesen Risiken und ihren Folgen zu begegnen, ist die Robustheit des Infrastruktursystems entscheidend. Die Gesamtrobustheit des gegenwärtigen Energiesystems wird im Rahmen unserer Befragung des Resilienz-Radars derzeit als mittel eingeschätzt, während sie in Bezug auf Cyberkriminalität, geopolitische Konflikte und Wetterextreme als eher gering bewertet wird. Es ist daher wichtig, aufkommende Störereignisse und Krisen frühzeitig zu erkennen und die vorhandenen Erkenntnisse zur Entwicklung innovativer Maßnahmen und zur Steigerung der Resilienz zu nutzen.

 

Die zunehmende Digitalisierung macht das Energiesystem effizienter, aber auch komplexer und anfälliger. Die systemischen Risiken Cyberkriminalität sowie Technikversagen und eingeschränkte Technikbeherrschbarkeit stellen ein erhebliches Gefährdungspotenzial für das Energiesystem dar. Mögliche Schäden reichen von Datendiebstahl über Erpressung mit gestohlenen oder verschlüsselten Daten bis zu Unterbrechung der Energieversorgung und Hardwaresabotage. Beide systemischen Risiken können alle im Systembild abgebildeten Bereiche beeinträchtigen. Mit zunehmender Abhängigkeit von Informations- und Kommunikationstechnologien (IKT) nimmt das Gefährdungspotenzial von Technikversagen weiter zu, etwa durch Softwarefehler oder Fehlbedienung [1]. Betreiber kritischer Energieinfrastrukturen müssen bereits heute Anforderungen gemäß dem Gesetz zur Erhöhung der Sicherheit informationstechnischer Systeme (IT-Sicherheitsgesetz) und Energiewirtschaftsgesetz (EnWG) erfüllen und für den Fall von schwerwiegenden Versorgungsstörungen effektive Präventions- und Reaktionsmaßnahmen ergreifen [2]. Seit dem Beginn der Energiewende leisten dezentrale Anlagen einen zunehmend wichtigen Beitrag zur Energieversorgung und darauf ausgerichtete Cybersicherheitsmaßnahmen sind erforderlich [1].

Die zunehmenden geopolitischen Konflikte verstärken die Gefährdung des Energieinfrastruktursystems, wie die Folgen des russischen Angriffs auf die Ukraine und die damit verbundenen Veränderungen in den globalen Energieversorgungsketten und Rahmenbedingungen der Energieversorgung in Deutschland zeigen [3]Versorgungsengpässe bei Energie, kritischen Rohstoffen und Lieferketten, ausgelöst durch geopolitische Konflikte und steigende Nachfrage nach kritischen Rohstoffen und Technologien, bergen ein erhebliches Gefährdungspotenzial mit potenziell gravierender Schadenshöhe und hoher Eintrittswahrscheinlichkeit [4]. Auch die Trendanalysen betonen die hohe Relevanz dieser Risiken. Diese Engpässe beeinflussen vor allem die Bereiche Vorleistungen, Primärenergieträger, Energieumwandlung und teilweise die Speicherung im Infrastruktursystem.

Das Gefährdungspotenzial durch die eng miteinander verknüpften systemischen Risiken globale Erwärmung und Wetterextreme ist vor allem in der langfristigen Perspektive sehr hoch. Wetterextreme beeinflussen das Energiesystem von der Primärenergieversorgung über die Energieumwandlung und Speicherung bis zur Verteilung und sind eine der Hauptursachen für Energieversorgungsunterbrechungen [5][1]. Die Auswirkungen der globalen Erwärmung, wie steigende Durchschnittstemperaturen und sich verändernde Windgeschwindigkeiten, wirken auf Verbrauch und auf Erzeugung [6].

Von dem systemischen Risiko Machtkonzentration geht gemäß der Quellenanalyse für das Infrastruktursystem Energie ein mittleres Gefährdungspotenzial aus. Allerdings ist im Zuge der Digitalisierung eine zunehmende Bedeutung von Plattformen im Energiesektor zu konstatieren, die viele Daten, unter anderem zum Nutzungsverhalten, erfassen, aggregieren und verarbeiten [6], die aber nicht allen Marktteilnehmenden zur Verfügung stehen.

Das systemische Risiko Pandemien und Epidemien wird mit Bezug zum Gefährdungspotenzial dagegen eher als gering eingeschätzt. Hier sind direkte Schäden durch Personalausfälle in allen im Systembild Energie abgebildeten Bereichen möglich. Zudem kann die Stabilität des Systems durch verändertes, untypisches Verbrauchsverhalten gefährdet werden [7][1].

Des Weiteren ist das systemische Risiko gesellschaftlicher Polarisierung für das Infrastruktursystem Energie mit einem Gefährdungspotenzial verbunden, dass sich vor allem auf das Erreichen der Energiewendeziele bezieht und sich in polarisierten Haltungen zu Veränderungen äußert. Dies zeigt sich in mehr oder weniger organisiertem Widerstand, besonders in den Bereichen Energieumwandlung und Verteilung, z.B. beim Bau von Windkraftanlagen oder dem Ausbau von Übertragungsnetzen [1][8]. Die Kaskadeneffekte geopolitischer Konflikte und daraus resultierender Preiserhöhungen im Verbrauch verstärken zudem die Risiken für wirtschaftliche Abwanderung und polarisierende Energiearmut [9] und werfen gleichzeitig neue Fragen der Energiegerechtigkeit auf.

Nicht zuletzt gefährdet das systemische Risiko Pfadabhängigkeiten das Erreichen der Transformationsziele in allen Bereichen des Energiesystems. Pfadabhängigkeiten werden aktuell meist als begünstigend für die Beibehaltung eines fossilen Energiesystems diskutiert. Sie können sich aber auch im Rahmen des Ausbaus erneuerbarer Energien herausbilden und ein langfristiges Festlegen auf bestimmte Entwicklungspfade bewirken [10][11].

 

Einschätzung der Robustheit: Ergebnisse der Panelbefragung

Die Robustheit des (gegenwärtigen) Infrastruktursystems Energie hinsichtlich systemischer Risiken, wurde im Rahmen der empirischen Erhebungen und der Panelbefragung bewertet. Die Gesamtbewertung des Energiesystems über alle systemischen Risiken liegt bei einer mittleren Robustheit. Bei der Bewertung einzelner systemischer Risiken zeigen sich jedoch deutliche Unterschiede. Insbesondere gegenüber Cyberkriminalität wird die Robustheit am geringsten eingeschätzt, wobei etwa ein Drittel der Expert/innen sie als sehr gering und ein weiteres Drittel als gering beurteilt. Auch bei geopolitischen Konflikten und Wetterextremen wird das Energiesystem von einer deutlichen Mehrheit der Expert/innen als wenig robust wahrgenommen. Die Einschätzung der Robustheit gegenüber dem Risiko von Pfadabhängigkeiten wird als mittel bewertet. Eine hohe Robustheit wird vor allem in Bezug auf das systemische Risiko von Pandemien und Epidemien gesehen.

Quelle: Büro für Technikfolgen-Abschätzung beim Deutschen Bundestag (TAB) (2024): Foresight-Report 2024. Mit Fokus auf die Infrastruktursysteme Energie, Landwirtschaft und Ernährung sowie Verkehr und Mobilität (Autor/innen: Bledow, N.; Eickhoff, M.; Evers-Wölk, M.; Kahlisch, C.; Kehl, C.; Nolte, R.; Riousset, P.). Berlin. https://foresight.tab-beim-bundestag.de

Kommentar schreiben

Kommentare: 0