In den letzten Jahren hat sich ein Phänomen in unserer Gesellschaft verstärkt, das nicht nur unser Arbeitsumfeld, sondern auch das Miteinander im öffentlichen und privaten Raum tiefgreifend verändert: das Denunziantentum. Was früher vor allem in autoritären Regimen als Werkzeug zur Kontrolle und Unterdrückung diente, scheint heute in einer neuen Form wieder aufzuleben – und das mitten in unserer demokratischen Gesellschaft. Doch was bedeutet das für die Gemeinschaft, die Meinungsfreiheit und letztlich für uns alle?
Die Dunkle Seite des Denunziantentums
Denunziantentum ist ein Mittel, um Kontrolle und Macht auszuüben. Im beruflichen Kontext, aber auch im privaten und öffentlichen Leben, entsteht durch Denunziation eine Atmosphäre des Misstrauens. Menschen ziehen sich zurück, ihre wahren Gedanken und Gefühle bleiben unausgesprochen – aus Angst, das nächste Opfer einer Anschuldigung zu werden. Diese Entwicklung zerstört den Teamgeist und das Gemeinschaftsgefühl, sowohl im Arbeitsumfeld als auch darüber hinaus.
Das Grundgesetz und die freie Meinungsäußerung
Unser Grundgesetz garantiert in Artikel 5 das Recht auf freie Meinungsäußerung: „Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten.“ Doch in der Praxis wird dieses Grundrecht zunehmend untergraben. Durch eine Kultur des Denunziantentums entsteht eine Realität, in der Menschen aus Angst vor negativen Konsequenzen schweigen. Dies stellt eine ernsthafte Gefahr für die Demokratie dar, da der offene Austausch von Ideen und Meinungen zunehmend eingeschränkt wird.
Denunziantentum im öffentlichen und privaten Raum – Ein Phänomen der Corona-Pandemie?
Besonders während der Corona-Pandemie hat das Denunziantentum einen beunruhigenden Höhepunkt erreicht. Plötzlich war es nicht mehr ungewöhnlich, dass Menschen ihre Nachbarn denunzierten, wenn diese sich trotz Verbots trafen oder gegen die vorgeschriebenen Maßnahmen verstießen. Diese Entwicklungen zeigen, wie schnell eine Gesellschaft in eine Kultur der Überwachung und Denunziation abdriften kann, wenn die Angst dominiert und Menschen glauben, sie würden dadurch das Richtige tun.
Warum Denunzianten nicht immer „böse“ sind
Es wäre zu einfach, alle Denunzianten als „böse“ Menschen abzustempeln. Viele von ihnen glauben tatsächlich, dass sie mit ihrem Verhalten etwas Gutes tun. Sie denken, sie schützen die Gemeinschaft oder die Gesellschaft vor einer Gefahr. Diese Überzeugung kommt oft nicht von ungefähr. Seit Jahrzehnten werden wir in eine bestimmte Richtung gelenkt – von klein auf, durch Kita, Schule, Studium und nicht zuletzt durch die Medien. Diese kontinuierliche Beeinflussung hat eine Generation von Bürgern hervorgebracht, die fest in bestimmten Narrativen verankert ist und abweichende Meinungen als Bedrohung empfindet.
Eigens eingerichtete Stellen zur Denunziation
Besonders besorgniserregend ist die Einrichtung spezieller Stellen in Unternehmen und Behörden, die das Denunzieren gezielt fördern. Diese sogenannten Meldestellen oder „Hinweisgeberplattformen“ wurden geschaffen, um Mitarbeiter*innen dazu zu ermutigen, Kolleg*innen zu melden, die gegen bestimmte Verhaltensnormen oder Regeln verstoßen – oder von denen angenommen wird, dass sie es tun. Solche Stellen verstärken das Denunziantentum, indem sie es institutionalisiert und legitimieren. Das Ergebnis ist ein Klima der Angst, in dem niemand mehr sicher ist.
Körperliche und Psychische Folgen für die Betroffenen
Die Auswirkungen solcher Bedingungen sind verheerend. Menschen, die denunziert werden, leiden oft unter chronischem Stress, Schlafstörungen und ernsthaften gesundheitlichen Problemen. Psychisch kann dies zu Angstzuständen, Depressionen und Isolation führen. Besonders schwerwiegend sind die Folgen, wenn eine Denunziation zur Kündigung führt. Existenzängste und ein massiver Verlust des Selbstwertgefühls sind oft die Folge.
Der Verlust des offenen Dialogs
Durch diese Entwicklung wird der offene Dialog zunehmend unterdrückt. Statt konstruktiver Auseinandersetzungen erleben wir, wie abweichende Meinungen schnell stigmatisiert und ihre Vertreter mundtot gemacht werden. Dies führt zu einer Kultur der Konformität, in der abweichende Stimmen immer seltener werden und das Gefühl der Gemeinschaft und des Miteinanders mehr und mehr verloren geht.
Die Selbstbestrafung des Denunzianten
Ein oft übersehener Aspekt ist, dass der Denunziant sich mit seinem Verhalten selbst bestraft. Indem er eine Gesellschaft fördert, in der Denunziation zur Norm wird, trägt er dazu bei, eine Welt zu schaffen, in der niemand mehr dem anderen hilft und jeder auf sich allein gestellt ist. Eine solche Gesellschaft ist geprägt von Misstrauen und Isolation, in der die Menschen der staatlichen Willkür ausgeliefert sind. Anstatt Teil einer starken, solidarischen Gemeinschaft zu sein, findet sich der Denunziant in einer Welt wieder, in der er selbst jederzeit das nächste Opfer sein könnte.
Fazit: Denunziantentum als Bedrohung für die Gemeinschaft und die Freiheit
Denunziantentum zerstört nicht nur das Vertrauen und die Gemeinschaft, sondern untergräbt auch die freie Meinungsäußerung, die eigentlich durch das Grundgesetz garantiert ist. Menschen, die in eine bestimmte Denkweise gedrängt wurden, glauben oft, dass sie das Richtige tun, wenn sie andere denunzieren. Doch in Wahrheit schaden sie nicht nur den denunzierten Personen, sondern auch sich selbst und der gesamten Gesellschaft, die in ein Klima des Misstrauens und der Isolation abdriftet.
Es ist an der Zeit, sich zu fragen: Wollen wir in einer Gesellschaft leben, in der Denunziationen zur Norm werden und abweichende Meinungen unterdrückt werden? Oder stehen wir gemeinsam für eine offene, freie und respektvolle Kommunikation ein, in der Meinungsverschiedenheiten nicht zur Spaltung, sondern zum Dialog führen?
Der Weg zu einer solidarischen Gesellschaft beginnt mit dem Mut, den offenen Dialog zu suchen und sich für die Werte der Meinungsfreiheit und des Respekts stark zu machen. Nur so können wir das Misstrauen überwinden und eine starke, zusammenhaltende Gemeinschaft aufbauen, in der jeder seine Meinung frei äußern kann, ohne Angst vor Repressalien zu haben.
Robert Jungnischke, Präsident der CERT-Europe Assocition
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